Eduard Maur

Der Tod im Licht der demographischen Statistik

245–253 (tschechisch), Resumé S. 253–254 (deutsch)
Der um 1800 geborene Europäer hielt für eine Selbstverständlichkeit das tausend Jahre im Grunde genommen unveränderliche Regime der Reproduktion der Bevölkerung, in dem auf 1000 lebende Personen jährlich 40–45 lebende Kinder gebaren und 30–35 Bewohner starben. Gerade er und noch mehr seine Söhne oder Töchter und Enkelkinder wurden jedoch Zeugen von grundsätzlichen Veränderungen des demographischen Regimes (die mehrfache Senkung des Maßes der Sterblichkeits- und der Geburtenziffer, genauer gesagt, solange es um Entbindungen geht, der Übergang von ungeregelter Fruchtbarkeit zur Geburtenregelung). In den böhmischen Ländern kann man den stufenweisen Rückgang der Sterblichkeit schon seit den 1820er Jahren beobachten. Die Geburtenziffer sank standig von den 1830er Jahren an, anfangs jedoch nur der Erhöhung des Jahres der Eheschließung zufolge, während die absichtliche Geburtenkontrolle sich erst ab den 1860er–1870er Jahren durchzusetzen begann, und zwar zuerst nur in großstädtischem Milieu, woher sie sich nach und nach verbreitete. Die traditionelle Gesellschaft unterschied sich von der heutigen nicht nur durch das mehrfach höhere allgemeine Maß der Sterblichkeit, aber auch durch ihre bedeutenden Schwankungen im Laufe der Zeit (die sogenannte demographische Krise), die im Grunde genommen zwei Ursachen hatten: sogenannte reine Epidemien, z. B. Pest oder Masern, und Hungersnot. Im Laufe der Zeit schwächte sich die Intensität der demographischen Krisen allmählich ab, zum Teil infolge des erfolgreichen Kampfes gegen die Ansteckung, zum Teil dank der immer besseren Situation in der Versorgung, d. h. den wachsenden Erträgen der landwirtschaftlichen Produktion, dem besseren Verkehr und später auch den vollkommeneren Arten der Lebensmittelkonservierung. Der spektakuläre Charakter der demographischen Krisen darf jedoch über die Tatsache nicht hinwegtäuschen, daß während der großen Epidemien und Hungersnöte (zuletzt gegen die Mitte des Jahrhunderts) auf lange Sicht nur ein minderer Teil der Bevölkerung starb, wogegen die Mehrheit an „geläufige" Krankheiten starb. Einige sehr gefährliche Krankheiten wie Tuberkulose waren im 19. Jahrhundert wesentlich mehr verbreitet als heute. Nicht besonders erfolgreich war der Kampf mit der Säuglingssterblichkeit, deren Werte in den böhmischen Ländern auch im internationalen Vergleich relativ hoch waren. Die Leute des 19. Jahrhunderts wurden also dauernd mit den Sterblichkeitsverhältnissen konfrontiert, wie man sie aus der traditionellen Gesellschaft kennt. Einige für die moderne Gesellschaft typische Veränderungen waren nur in Keim vorhanden oder sie bereiteten sich erst vor. Deshalb war die Gesinnung der damaligen Leute im Hinblick auf die Beziehung zum Tode zwangsläufig in mancher Hinsicht nur Fortsetzung der Mentalität der traditionellen Gesellschaft. Zur gleichen Zeit zeigte jedoch eben das 19. Jahrhundert den Leuten die Möglichkeit einer grundsätzlichen Veränderung der Sterblichkeitsverhältnisse und des ganzen Regimes der Reproduktion. Somit wurde der bisherige religiös begründete Fatalismus angesichts des Todes zweifellos untergraben.
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